Chinese Walls
Als mächtiges Bollwerk wollte die Chinesische Mauer das auch nach heutigen Vorstellungen riesige Reich der chinesischen Kaiser gegen kriegerische Eindringlinge abschotten. Mit der bildhaften Anleihe an diesem imposanten Bauwerk verweist die Kreditwirtschaft auf ihre Maßnahmen zur strikten Trennung des Informationsflusses zwischen Mitarbeitern und Abteilungen, die anlegerschädigenden Interessenkonflikten ausgesetzt sein könnten. Aufgrund von Fällen bewusster Anlegerschädigung durch irreführende und von eigenen Interessen geleitete Informationspolitik in verschiedenen Banken legt auch der Gesetzgeber großen Wert auf die Errichtung von Chinese Walls. Die Gesetze zum Anlegerschutz und zur Ausgestaltung von Chinese Walls mögen noch so streng formuliert sein, immer wieder werden betrügerische Marktteilnehmer gegen sie verstoßen. Dass es nicht gelingt, durch Anlegerschutzgesetze alle Versuche der betrügerischen Kapitalmarktkommunikation und Kursmanipulation in den Griff zu bekommen, spricht aber nicht gegen die Errichtung von Chinese Walls. Nach § 33 Abs. 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) sind Kreditinstitute und Finanzdienstlei stungsunternehmen verpflichtet, organisatorisch geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Interessenkonflikte möglichst gering zu halten. (Compliance) Interessenkonflikte entstehen zumeist zwischen einer Bank und ihren Kunden, aber auch zwischen verschiedenen Kunden der Bank sind Interessenkonflikte denkbar. Ursache für Interessenkonflikte sind vorrangig öffentlich nicht zugängliche Informationen, die einer Bank aus der Kundenbeziehung erwachsen und die sie zum eigenen Vorteil ausnutzten kann. Insidertatsachen gem. § 13 und § 15 WpHG sowie die Kenntnis von Kundenaufträgen stellen typische Interessenkonflikte dar. (Insiderrecht). Insidertatsachen können die Kenntnis über bevorstehende Kapitalmaßnahmen, Übernahme- und Kaufangebote, bevorstehende Ratingveränderungen oder sonstige den Börsenkurs erheblich beeinflussende Informationen sein. Damit diese vertraulichen Informationen den Geschäftsbereich, in dem sie angefallen sind, nicht verlassen, werden Chinese Walls eingerichtet. Der bildlichen Herkunft folgend können Chinese Walls reale bauliche Trennungen von Geschäftsbereichen herstellen (z.B. Kundenhandel und Eigenhandel). Sie können aber auch durch computergesteuerte Zugangsbeschränkungen den Informationsaustausch zwischen einzelnen Abteilungen und Mitarbeitern unterbinden. Da heute der größte Teil der Daten elektronisch verfügbar ist, spielen Regelungen der Zugriffsberechtigung im EDV-Netzwerk eine große Rolle. Sofern es zur Erfüllung der Aufgaben des Unternehmens notwendig ist, dürfen Informationen und Mitarbeiter aus sensiblen Bereichen ausgetauscht werden (Wall Crossing). Dabei hat sich der Austausch auf das erforderliche Maß zu beschränken (Need-to-know-Prinzip). Die Compliance-Stelle überwacht mit Hilfe einer Watch-List, ob die Chinese Walls zwischen den Geschäftsbereichen eingehalten werden. Auf der Watch-List befinden sich sämtliche Wertpapiere, über die das Unternehmen compliance-relevante Informationen verfügt. Mitarbeiter, die durch ihre Tätigkeit compliance-relevante Informationen über Wertpapiere erhalten, müssen unverzüglich dafür sorgen, dass diese in die Watch-List aufgenommen werden. Welche Unternehmen beziehungsweise Wertpapiere auf der Watch-List vermerkt sind, ist nur der Compliance-Stelle bekannt. Die auf der Watch-List vermerkten Wertpapiere unterliegen daher grundsätzlich keinerlei Handels- und/oder Beratungsbeschränkungen. Für Wertpapiere, die sich auf einer so genannten "Restricted-List" befinden herrschen im Gegensatz dazu Beschränkungen in Bezug auf Mitarbeiter-, Eigenhandels- und Kundengeschäfte. Restricted-Lists werden anders als Watch-Lists nicht geheim gehalten. Die Nennung des Grundes für die Aufnahme eines Wertpapiers auf die Restricted-List erfolgt nur, wenn es sich um eine bereits öffentlich bekannte Tatsache handelt. Neben den gesetzlichen Vorschriften, existieren Kodizes und Richtlinien, die von den Standesorganisationen der Analysten wie der DVFA oder der AIMR herausgegeben werden. Die Wirksamkeit von Chinese Walls bleibt trotz allem umstritten. Aus Sicht der Privatanleger und fairer Kapitalmärkte kann man Chinese Walls unter das Motto stellen: "Würden sie wirken, wären sie’s wert". Für die Errichtung von Chinese Walls lassen sich neben den bereits erwähnten gesetzlichen, zahlreiche theoretische Argumente anführen. Seit 1999 sind Chinese Walls in den USA vorgeschrieben. Dennoch wurden gerade dort besonders spektakuläre Fälle von Anlegerschädigungen durch Interessenkonflikten unterliegende Analysten offen gelegt. Den dramatischen Kursverfall des amerikanischen Energiekonzerns Enron begleiteten die Analysten der Enron betreuenden Investmentbanken auch dann noch mit Kaufempfehlungen, als sich die Schieflage des Unternehmens längst herumgesprochen hatte. Was 2002 trotz SEC und Chinese Walls bei Enron an Eigeninteressen folgender Informationspolitik verbreitet wurde, sprengt alles bisher Erlebte an anlegerschädigender Kapitalmarktkommunikation. Erst als Enron mehr als 50 Prozent seines Kurses eingebüßt hatte, stoppten Goldman Sachs und J.P.Morgan ihre Kaufempfehlungen. Goldman Sachs war für Enron an 4 Börsenemissionen beteiligt und betreute vier Merger. Auch J.P.Morgan konnte an 4 Merger verdienen und außerdem vier Anleihen emittieren. Lehman Brother war maßgelblich an vier Merger beteiligt und vergab vier Kredite. Diese Investmentbank hielt Enron bis kurz vor dem Konkursantrag mit Kaufempfehlungen die Stange. Aus diesen Geschäftsbeziehungen haben die Investmenthäuser viel Geld verdient. Dies führte zu erheblichen Interessenkonflikten bei den Analystenempfehlungen. Das faktische Verhalten der Analysten lässt die Vermutung aufkommen, dass sie diesen Interessenkonflikten erlegen sind. Sie wollten die Provisionserträge ihres Hauses nicht durch ein Enron schädigendes Verkaufsvotum der eigenen Analysen gefährden. Chinese Walls haben in beiden Fällen nicht gewirkt. Bei so schwergewichtigen Interessenkonflikten dürfen Anleger von Chinese Walls keinen Schutz erwarten. Selbstverständlich wissen die Analysten einer Investmentbank - trotz Chinese Walls mit welchen Mandaten die Bank ihr Geld verdient. Die Analysten benötigen nicht einmal Angaben darüber, welche Interessen das Management ihrer Bank verfolgt, und wie sie ihrem Institut von Nutzen sein können. Besonders schwer wiegen betrügerische Fehlinformationen der Anleger. Wenn in einer großen Investmentbank, wie zum Beispiel Merrill Lynch, Analysten der Öffentlichkeit Emissionen zum Kauf empfehlen, die sie intern als Müll kennzeichnen, dann können die Anleger statt auf gut funktionierende Chinese Walls nur auf effiziente Staatsanwälte hoffen. Chinese Walls können sogar anlegerschädigend wirken, wenn ihre Existenz als Ausrede für sich widersprechende Handlungen einer Investmentbank herangezogen wird. Verbreitet beispielweise die Research Abteilung einer Investmentbank Kaufempfehlungen für den Kauf von Aktien der Deutschen Telekom, während eine andere Abteilung kurze Zeit später in großem Umfang für einen Kunden Blocktransaktionen zum massivem Verkauf von Anteilen an der Deutschen Telekom vomimmt, so muss dies die fehlgeleiteten Anleger erbosen. Sollte die Investmentbank diese sich diametral widersprechenden Handlungen als Beleg für die Wirksamkeit ihrer Chinese Walls preisen, so stellt sie die an Chinese Walls geknüpften Erwartungen auf den Kopf. Chinese Walls sollen zum Schutz der Anleger Interessenkonflikte unterbinden und nicht als Absolution dafür dienen, dass eine Bank sich in ihrem eigenen Handeln beliebig widersprechen kann. In diesem Fall muss die Compliance Abteilung beide Seiten der Chinese Walls im Auge behalten, und zum Schutz der Anleger und zur Aufrechterhaltung der Glaubwürdigkeit der Bank den Interessenkonflikt durch eine zeitliche Verschiebung der Analyse unterbinden. Anzumerken bleibt aber auch, dass der Auftraggeber der massiven Verkäufe von Telekom Aktien dies sicherlich anders sieht. Es zeigt sich leider, dass die Errichtung von Chinese Walls aus Interessenkonflikten resultierende Anlegerschädigungen nicht unterbindet. Die Anleger sind deshalb gut beraten, Chinese Walls mit einer gewissen Skepsis zu begegnen.
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