Technische Analyse
Der Begriff Technical Analysis kommt aus dem amerikanischen und wurde zuerst von Edwards und Maggee in "Technical analysis of Stock trends" 1948 verwendet. Der Ökonometriker Jan Tinbergen hat einmal gesagt: wenn sich die Verhaltensweisen der Menschen als solche auch nicht messen lassen, so "kann sich ihr Einfluss doch nur in der Form messbarer Phänomene" niederschlagen. Mit Hilfe der technischen Aktienanalyse versucht man, solche messbaren Phänomene zu erfassen. Man analysiert das Geschehen am Markt selbst durch Beobachtung von Kurs- und Indexverläufen, sowie den Vergleich der Veränderung und Entwicklung von Kursen und Börsenumsätzen, vor allem auch charakteristischer "Formationen" mit dem Ziel, Trendverläufe und deren Umkehrpunkte frühzeitig zu erkennen. Da aus Erfahrung bekannt ist, dass sich Aktienkurse in Trends bewegen und diese sich solange fortsetzen, bis in der Angebots- und Nachfragekonstellation eine grundsätzliche Änderung eintritt, die den Trend unterbricht, hofft man durch dauernde Beobachtung der Trendverläufe und der sich ergebenden Formationen derartige Unterbrechungen frühzeitig feststellen zu können. Nach ihren Arbeitsintrumenten, den sogenannten "Charts", das sind grafische Darstellungen von Aktienkursen und Börsenumsätzen, werden die technischen Analytiker oft auch als "Chartisten" bezeichnet. Wird ein Aktienkurs oder ein Index nur einmal täglich notiert, so fertigt man einen "Linien- Chart" davon an. Häufig werden solchen "Linien-Charts" allerdings auch die Schlusskurse zugrunde gelegt. Aussagefähiger sind allerdings "Bar-Charts", in denen der tägliche Höchst- und Tiefstkurs grafisch festgehalten wird. Bewährt hat sich ein halblogarithmischer Maßstab, der den Vorteil hat, dass verschiedene Aktien und Indiens direkt miteinander verglichen werden können, da gleichen Längeneinheiten gleiche prozentuale Veränderungen entsprechen.Die Börsenumsätze werden als "Balken-Chart" dargestellt. Elemente der Chartanalyse sind Linien und Formationen. 1. Linien 1.1 Trendlinien und -kanäle Werden in einer aufsteigenden Kursbewegung zwei untere Extrempunkte sichtbar, so kann man eine Trendlinie einzeichnen. Wird zu dieser Linie eine Parallele durch einen oberen Extrempunkt der aufsteigenden Bewegung im Chart gezeichnet, so spricht man von einem Trendkanal. Trendlinien sind umso bedeutender, je häufiger sie getestet, das heißt vom Chart berührt werden. Die Ermittlung solcher Trendkanäle sind das wichtigste Hilfsmittel der technischen Aktienanalyse. Im amerikanischen sagt man: "The trend ist your friend". Ein wichtiger Grundsatz der technischen Aktienanalyse lautet folglich: "Gewinne laufen lassen, Verluste begrenzen". Wird die obere Begrenzung des Trendkanals nicht mehr berührt, so ist der Trend gefährdet. Wird die untere, aufwärts gerichtete Trendlinie nach unten durchbrochen, so spricht man von einem Trendbruch. Der Aufwärtstrend ist beendet. Die klassische Chartanalyse verlangt, dass ein Trendbruch erst dann signifikant ist, wenn die Trendlinie um mehr als drei Prozent unterschritten wird. Mit zunehmender Verbreitung computergestützter Handels- und Entscheidungssysteme, in denen diese Regel programmiert ist, kommt es immer häufiger zu einer "Self-fullfilling- prophecy", also dazu, dass ein Kurs kurzfristig aus einem Trend ausbricht und bald darauf in diesen zurückkehrt. Bei einem signifikanten Trendbruch hingegen ist insbesondere bei marktengen Aktien zu beobachten, dass die Entwicklung anschließend extrem stark gegen den Trend verläuft. Ein Ausbruch aus einem abwärts gerichteten Trendkanal kann meist als Kaufsignal gewertet werden. 1.2 Unterstützungs- und Widerstandslinien Werden bestimmte Kurshöhen über längere Zeiträume nicht nach oben durchbrochen, so spricht man von Widerstandslinien. Sie sind häufig durch runde Kursmarken gekennzeichnet, wie 100, 120 etc. Häufig orientieren sich Marktteilnehmer an Hochpunkten der Vergangenheit, an denen es zuletzt zu Käufen kam. Sie sind dann meist froh, ihre alten Einstandskurse wieder zu sehen und verkaufen an diesen Marken. Solche Marken werden selten dann durchbrochen, wenn ein Markt "überkauft" ist, das heißt, an solchen Punkten eine erhöhte Umsatztätigkeit stattfindet. Werden bestimmte Marken über einen längeren Zeitraum nicht nach unten unterschritten, so spricht man analog von Unterstützungslinien. Käufer sind nicht bereit, höhere Preise zuzubilligen. Unterstützungs- und Widerstandszonen Liegen zwei Widerstands- bzw. Unterstützungslinien sehr eng beieinander, so spricht man von Widerstands- bzw. Unterstützungszonen. Das ist häufig der Fall, wenn es zu sogenannten "Bullen- oder Bärenfallen" kommt, das heißt, kurzfristige Ausbrüche über Widerstands- und Unterstützungmarken, die allerdings nicht von langer Dauer sind. Fächer Wird ein Aufwärtstrend nach unten durchbrochen und ein neues markantes Zwischentief zeichnet sich ab, so kann eine neue flachere Trendlinie eingezeichnet werden. Häufen sich solche Tiefpunkte und diese Trendlinien werden immer flacher, so spricht man von einem Fächer. Daraus kann man ableiten, dass die aufwärts gerichteten Kräfte des Marktes zunehmend schwächer werden. Meist kehrt sich dann die Entwicklung in einen Abwärtstrend um. Das Analoge gilt für einen Aufwärtsfächer, wenn die abwärts gerichteten Trendlinien vom gleichen Punkt ausgehend immer steiler werden. 2. Formationen 2.1 Trendbestätigende Formationen Innerhalb von Trends stoppt ein Kursverlauf häufig und bewegt sich dann kurzfristig seitwärts. Solche Kursbewegungen können meist durch Linien begrenzt werden, sie bestätigen die zugrunde liegende Trendrichtung, wenn der Ausbruch aus einer der folgenden Formationen in Trendrichtung erfolgt. Rechteck Der Kurs konsolidiert einige Tage in einer engen Bandbreite zwischen einer Unterstützungsund Widerstandslinie. Dreieck Werden die Ausschläge im Rahmen einer solchen Konsolidierung immer enger, so können sie meist durch ein gleichschenkliges Dreieck beschrieben werden. Wimpel Handelt es sich um eine sehr kurzfristige Dreiecksformation in denen der Kurs konsolidiert, so spricht man von einem Wimpel, vorausgesetzt, vor der Konsolidierung ist ein deutlicher Kurssprung erfolgt. Flagge Ist nach einem Kurssprung eine kurzfristige Parallelbewegung gegen die zugrunde liegende mittelfristige Trendrichtung zu erkennen, so spricht man von einer Flagge. 2.2 Trendumkehr-Formationen Mit Hilfe der technischen Analyse können keine Prognosen gemacht werden, schon gar keine Punktprognosen. Es kann immer nur die Richtung und die Intensität einer Bewegung verdeutlicht, und Trendlinien, bzw. Widerstände und Unterstützungen als mögliche Haltepunkte diagnostiziert werden. Um Trendbrüche frühzeitig erkennen zu können, stützt man sich auf Trendumkehr-Formationen. Doppeltop/Doppel-Bottom Am Doppeltop erkennt man,dass die Käufer nicht mehr bereit sind, höhere Kurse zu bewilligen, so dass der Aufwärtstrend nicht fortgesetzt werden kann. Bisweilen wird zwischen Doppeltop und M-Formation unterschieden, dadurch, dass bei der M-Formation der Zeitraum zwischen den beiden Spitzen mehrere Monate beträgt, der bei einem Doppeltop nur einige Tage. Die Doppel-Bottom-Formation ist das Spiegelbild der M-Formation. Im Idealfall geht der erste Abschwung mit hohen Umsätzen einher, der zweite hingegen mit deutlich kleineren, während beim anschließenden Aufschwung die Umsätze wieder steigen. Kopf-Schulter-Formation Die obere Kopf-Schulter-Formation besteht aus drei Kursspitzen, wobei die mittlere über die beiden anderen hinausragt. Die beiden Tiefpunkte zwischen den drei Spitzen werden durch eine Nackenlinie verbunden, die normalerweise waagerecht verlaufen sollte, in manchen Fällen allerdings auch einen schrägen Verlauf aufweist. Erst bei Durchbrechen dieser Nackenlinie ist die Formation vollendet. Auch bei dieser Formation sollten die Umsätze bei der linken Schulter noch relativ hoch sein, unterhalb des Kopfes können sie gleich, niedriger oder höher sein. Jedoch sollten sie unterhalb der rechten Schulter niedriger sein als unter der linken Schulter. Das erleichtert die Diagnose dieser Formation. Die untere Schulter-Kopf-Schulter-Formation entspricht einer Spiegelung der oberen. Allerdings sollten die unteren Spitzen auch mit rückläufigen Umsätzen verbunden sein, während der Kursanstieg nach dem Ausbruch aus der Nackenlinie mit steigenden Umsätzen einhergehen sollte. V-Formation Eine obere V-Formation entsteht durch einen sehr steilen Kursanstieg, verbunden mit starker Umsatzzunahme und einem anschließenden raschen Kursverfall mit deutlich sinkenden Umsät- Bei der unteren V-Formation sollten dagegen die Umsätze unter der Spitze sehr niedrig sein. Die V-Formation ist besonders schwierig zu identifizieren und auch schwer für Käufe oder Verkäufe zu nutzen. Saucers Bei der Saucer-Formation bildet sich über einen längeren Zeitraum eine untere oder obere gebogene Form des Kursverlaufs aus, die die jeweilige Trendwende anzeigt. Die Umsatzkurve sollte bei dem Bogen etwa die gleiche Form wie die Kurse selbst aufweisen. Rechtecke und Dreiecke Die Rechtecke und Dreiecke sind ambivalente Kursformationen, das heißt, sie können sowohl als trendbestätigende Formationen auftreten, als auch als Umkehrformationen. Die Richtung des Ausbruchs einer solchen Formation gibt die Richtung des weiteren Kursverlaufs an. 2.3 Glättungslinien Die moving averages werden häufig als gleitende Durchschnitte bezeichnet, was allerdings irreführend ist, da der Begriff gleitende Durchschnitte von der Statistik besetzt ist und es sich bei der Chartanalyse um verschobene gleitende Durchschnitte handelt. Hier wird der Durchschnittskurs der letzten 100, 200, 50 oder beliebig vieler Börsentage berechnet und mit dem jeweils aktuellen Kurs in den Chart eingezeichnet. Dadurch wird der Kursverlauf geglättet und verschoben so dass man die länger- und mittelfristigen Tendenzen mit Hilfe dieser Glättungslinien besser identifizieren kann. Wie ein Tennisball entfernen sich die Kurse von der Glättungslinie und kehren immer wieder zu ihr zurück. Solange sie nicht durchbrochen wird, ist ein Trend intakt. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Formationen, die allerdings weniger bedeutend sind. Außerdem werden in der technischen Aktienanlyse noch diverse Indikatoren verwendet, um die Markttendenz zu erfassen, wie zum Beispiel die Advance-Decline-Linie, die das Verhältnis der gestiegenen zu den gefallenen Kursen mißt und zeigt, ob der Anstieg eines Indexes nur von wenigen überproportional gestiegenen Aktien oder der gesamten Breite des Marktes getragen wird. Darüberhinaus gibt es zahlreiche Indikatoren und Oszillatoren, die Anzeigen, ob der Markt kurz- oder mittelfristig überkauft oder überverkauft ist. Alle Hilfsmittel der technischen Analyse können allerdings immer nur subjektive Wahrscheinlichkeiten bei der Diagnose der Kursbewegung liefern. Häufig kommt es zu Fehlsignalen. In Kombination mit der fundamentalen Analyse kann die technische Analyse allerdings in der Funktion eines Auslösers oder einer Bremse genutzt werden. Zeigt zum Beispiel die technische Analyse eines Gesamtmarktes oder einer einzelnen Aktie einen Bruch aus dem Abwärtstrend und einen beginnenden Aufwärtstrend, ohne dass die fundamentalen Daten dafür eine Begründung liefern, so ist zu untersuchen, ob sich Fundamentaldaten geändert haben könnten (Auslöserfunktion). Besagt die fundamentale Analyse, dass ein Gesamtmarkt oder eine einzelne Aktie unterbewertet ist, so sollte die technische Analyse solange als Bremse wirken, bis diese Information marktwirksam wird. Die Erfahrung zeigt, dass die Marktentwicklung über längere Zeiträume von der fundamentalen Entwicklung abweichen kann (Bremsfunktion). Literatur: EDEARDS, R./MAGEE, J. (1975), Technische Analyse von Aktientrends, deutsche Ausgabe, Darmstadt. FRÜHLING, W. (1998), Börsenerfolge mit Charts, 3., überarb. und erw. Aufl., Darmstadt u.a. PASTRE, V., Technische Analyse zum Nachschlagen, Essen.
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